Altstadt

Aus der Geschichte von Bad Oeynhausen "Altstadt"

Noch um 1830 standen auf dem Gebiet des heutigen Badeortes, der bis 1848 den Namen Neusalzwerk trug, nur einzelne Bauerngehöfte, deren Geschichte sich zum Teil bis ins 16. und 17. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Quer durch dieses Gelände – und heute noch an einem alten Grenzstein von 1542 im Bereich des Kurparks sichtbar – verlief ursprünglich die Landesgrenze zwischen dem Fürstbistum Minden und der Grafschaft Ravensberg, die seit 1648 bzw. bereits seit 1609/14 unter brandenburgisch-preußischer Herrschaft standen. Der königlich-preußische Berghauptmann Carl August Ludwig von Oeynhausen (1795-1865) suchte im Auftrag des provinzial-westfälischen Oberbergamtes in Dortmund nach Steinsalz, als er bei einer Bohrung in fast 700 Meter Tiefe auf eine warme, kohlesäurehaltige Quelle stieß. Der aus einem alten westfälischen Adelsgeschlecht stammende Freiherr, der die zukunftsträchtige Bedeutung dieser Entdeckung sofort erkannte, wurde somit im eigentlichen Sinne zum Gründungsvater und Namensgeber des Ortes, der sich bald seiner ersten Badegäste erfreuen sollte. Bauern aus der näheren Umgebung errichteten in den folgenden Jahren erste kleine Badehäuser und vornehmlich die ortsansässige Bevölkerung nutzte die neu entdeckten Thermalquellen zur „Heilkur“, wie man seinerzeit zu sagen pflegte. Als im Jahre 1845 dann die erste offizielle Badesaison begann, war der Grundstein für einen raschen Auf- und Ausbau des Kurbetriebes und der Kuranlagen gelegt. Der junge Badeort erfreute sich eines von Jahr zu Jahr stetig anwachsenden Besucherandrangs, mit dem auch die Anzahl der verabreichten Badekuren sowie die staatlichen und privaten Investitionen in den örtlichen Kurbetrieb stiegen. Am 24. Mai 1847 erließ König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, der nicht nur als ein „Romantiker auf dem Thron“, sondern auch als ein großer Förderer des Bades Oeynhausen in die Geschichte einging, eine „Kabinettsordre“, die das aufstrebende Solbad bei der Saline Neusalzwerk als eine gemeinnützige Anstalt unter unmittelbarer Leitung des Staates bestimmte. Auf dieser Grundlage gewährte die preußische Staatsregierung „ihrem“ Bad großzügig bemessene zinsfreie Darlehen, finanzielle Vorschussleistungen und umfängliche Beihilfen. Bereits 1850/51 – noch vor der planmäßigen Anlage eines Kurparks – konnte mit diesen Mitteln ein bereits recht stattliches Kur- und Badehaus errichtet werden, das mit über 76 Badezellen die kleineren zumeist provisorischen Holzbadehäuser ersetzte.

Nach dem Bau der für die weitere Entwicklung des Bades Oeynhausen und den Ausbau des Kur- und Badebetrieb äußerst wichtigen Trasse der Köln-Mindener Eisenbahn im Jahre 1847 verlagerte sich der Schwerpunkt der Siedlungstätigkeit von der im Gebiet der heutigen großen Straßenkreuzung der Mindener und Eidinghausener Straße liegenden kleinen Kolonie um die Saline herum mehr und mehr nach Westen in den Bereich des seinerzeit neu eröffneten Bahnhofs. Durch Kabinettsordre vom 26. April 1859 wurde der Gemeindebezirk Oeynhausen gebildet, der zunächst in seiner Gesamtheit dem Amtsbezirk Rehme zugeordnet wurde. Mit Wirkung vom 1. Januar 1860 wurde Oeynhausen – den amtlichen Zusatz „Bad“ erhielt der Kurort erst im Jahre 1911 – mit einem damaligen Stadtgebiet von 266,6 Hektar und insgesamt 1273 Einwohnern und 117 Häusern in den Rang einer Stadt mit königlich preußischer Landgemeindeordnung erhoben. Bei dieser Stadtgründung „von oben“ handelt es sich zudem um eine der ganz wenigen Städteneugründungen des 19. Jahrhunderts im Bereich Preußen-Deutschlands. Der Raum dieser neuen „Stadt“ war allerdings so knapp bemessen, dass auf dem eigenen Stadtgebiet nicht einmal Platz für einen Friedhof war. Zwar wurde mit der Gründung der neuen Stadtgemeinde, die sich aus Teilen der Gemeinden Rehme-Niederbecksen, Werste sowie der Bauerschaft Melbergen der Gemeinde Gohfeld zusammensetzte, der äußerst nachteilige Zustand beseitigt, dass quer durch den Badebezirk eine Kreisgrenze verlief, indem die Grenze zwischen den Kreisen Minden und Herford um etwa einen halben Kilometer weiter nach Westen verschoben und dem Verlauf des Osterbaches angeglichen wurde; jedoch schränkte der Verlauf der 1875 errichteten Südbahntrasse der Eisenbahnlinie Löhne-Hameln-Hildesheim, die unmittelbar an der südlichen Kurparkgrenze entlang führte, die weitere Ausdehnung der Stadt in südlicher Richtung bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt in ihrer Entwicklung in noch erheblicherer Weise ein. Nun waren der Kernbereich der Stadt und das Kurgebiet mit dem Kurpark als Mittelpunkt zwischen zwei Bahnlinien eingeschlossen, die in Nord-Süd-Richtung gerade einmal 850 Meter voneinander entfernt waren, was der Länge der seinerzeit planmäßig angelegten Bahnhofstraße entspricht.

Rund um den in seinem nordöstlichen, ältesten Teil in den Jahren 1851 bis 1853 nach Plänen des bedeutenden Gartenkünstlers Peter Joseph Lenné angelegten Kurpark und den ihn in östlicher, südlicher und westlicher Sicht umgebenden hufeisenförmigen alleeartigen Korso entstanden in rascher Folge in offener aufgelockerter Bauweise die ersten repräsentativen Villen des gehobenen Bürgertums. Dieses aus heutiger Sicht durchaus (wieder) moderne Konzept einer durchgrünten Gartenstadt in aufgelockerter Bauweise führte zu dem für eine deutsche, ja europäische Stadt bis ins 20. Jahrhundert hinein nahezu ungewöhnlichen Phänomen: der aufstrebende Kurort Oeynhausen entstand nicht um einen mittelalterlichen Siedlungskern mit einer Pfarrkirche oder einem Marktplatz, sondern das Zentrum dieser Stadt bildet ein ca. 26 Hektar großer Kurpark als gepflegte Gartenlandschaft mit darin eingestreuten Bauten der klassizistischen und historistischen Bäderarchitektur gleichsam als „ein Architekturmuseum des 19. Jahrhunderts“ (Baldur Köster).

Am 1. Oktober 1885 schied der noch junge Kurort mit seinen inzwischen knapp 2400 Einwohnern aus dem Amtsverband Rehme aus und wurde gemäß der Städteordnung der preußischen Provinz Westfalen zu einer selbständigen Stadt mit einer Bürgermeisterverfassung. Nachdem in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Reichsgründung die Nordostseite des Kurparks entlang der Herforder Straße sowie der Straße „Am Kurpark“ nach und nach bebaut worden war und sich im Bereich der Kloster- und Viktoriastraße sowie der heutigen Paul-Baehr-Straße ein kleines überschaubares Geschäfts- und Einkaufszentrum mit Hotels, Gaststätten und Cafés gebildet hatte, erfolgte ab etwa 1895 allmählich die Bebauung der Westseite des Kurparks in so genannter „offener“ Bauweise, vorwiegend im nicht über zwei Geschosse hinausgehenden Landhausstil, wie er in den Badeorten des 19. Jahrhunderts Norm und Usus war. Damals entstand der überwiegende Teil der für das Stadtbild Oeynhausens – trotz herber Verluste vor allem in der 1950er bis 1970er Jahren – immer noch charakteristischer spätklassizistischer und historistischer Villen am West- und Ostkorso und in den angrenzenden Straßen, die für Auswärtige und Einheimische nach wie vor den Reiz dieser Badestadt ausmachen.

Ein im Jahre 1898 aufgestellter neuer Bebauungsplan, der bis zur Eingemeindung von Niederbecksen-Bruch 1926 gültig blieb, markierte den Beginn einer zweiten Phase der Stadtentwicklung und betraf in erster Linie das östlich des Geschäftszentrums gelegene so genannte „Bahnhofstraßenviertel“ mit den angrenzenden Seitenstraßen, insbesondere die alleeartig gestalteten Charlotten-, Porta- und Bismarckstraße. Bereits 1889 erhielt der rasch aufstrebende Kurort eine elektrische Straßenbeleuchtung und 1893 eine Kanalisation. Innerhalb von nur zwei Generationen war Oeynhausen von einer Ansammlung weniger verstreuter Gehöfte und einer Salinenanlage zu einem stark frequentierten Kurort mit einer ganzen Reihe kultureller Einrichtungen für Gäste aus dem In- und Ausland geworden. So stieg die Einwohnerzahl des Bades innerhalb von nur vier Jahrzehnten um mehr als das Zweieinhalbfache, nämlich von 1273 Einwohnern im Jahre der Stadtwerdung 1860 bis auf 3356 im Jahre 1900; ein knappes Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende (1909) waren es bereits 5324 Personen, die in dem ostwestfälischen Kurort ihren Wohnsitz hatten, was ungefähr einem gleich großen Bevölkerungszuwachs entspricht wie in den vierzig Jahren zuvor. In diese bis dato stärkste Wachstumsphase fällt auch der Ausbau der höheren Schulwesens, der mit der Verselbständigung der Höheren Stadtschule als ein so genanntes „Progymnasium“ (1893) begonnen und mit der Gründung der Höheren Töchterschule, der nachmaligen „Luisenschule“ (1906) sein – zumindest vorläufiges – Ende fand.

Auch die Kurgastzahlen entwickelten sich im ersten Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende besonders in rasantem Tempo; zählte man 1860 gerade einmal 1815 Kurgäste, waren es im Jahre 1890 immerhin schon 6472, im Jahre 1900 bereits 11241 und schließlich 1908, dem Jahr der Fertigstellung und Eröffnung des monumentalen neuen neobarocken Kurhauses sogar 15360 Heil- und Erholungssuchende, die von insgesamt 21 ortsansässigen Badeärzten betreut wurden. Zudem bestand mit 44 Vereinen ein – für eine Kleinstadt durchaus bemerkenswertes – reges Vereinsleben. In einem 1906 erschienenen offiziellen Almanach für Kurgäste wird in diesem Zusammenhang sogar davon gesprochen, dass dies fast an amerikanisches Wachstum erinnernde Aufblühen unserer Badestadt noch lange nicht seinen Abschluss gefunden hat“, und es wird unmittelbar daran anschließend die Hoffnung ausgesprochen, „dass Oeynhausen einer Entwicklung entgegengeht, die in der Geschichte neudeutscher Städtegründungen nicht viele ihres gleichen hat. Spricht aus diesen Zeilen auch ein gutes Stück Lokalpatriotismus, gepaart mit dem seinerzeit allerorten vorhandenen – dem heutigen Betrachter aus der Rückschau gar etwas allzu naiv anmutenden – wilhelminischen Fortschrittsoptimismus, so lässt sich dieser lokale Fortschrittsglaube, zumindest was die städtebauliche Entwicklung des Badeortes in jenen Jahren nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert betrifft, an nüchtenen Zahlen als durchaus begründet belegen: Allein im Zeitraum von 1897 bis 1901 entstanden in der Stadt 110 Neubauten, und damit mehr als ein Viertel sämtlicher Neubauten zwischen 1861 und 1910. Der Stadtchronist und Heimatdichter Paul Baehr schildert diese Aufbruchstimmung nicht ohne eine gehörige Portion Lokalstolz in recht eindrücklicher Weise: Wohin wir blicken, überall, auf geistigem wie auf materiellem Gebiet, herrscht eine schaffensfreudige Regsamkeit, hervorgerufen durch opfermutiges Interesse an dem Wohlergehen und Gedeihen unseres Weltbades und getragen von einem unerschütterlichen Vertrauen zu der Lebenskraft und Entwickelungsfähigkeit unserer Stadt.

Von daher erscheint es nur folgerichtig, dass die königliche Badeverwaltung auf den raschen und stetigen Anstieg der Kurgäste mit dem Bau neuer Badehäuser, eines imposanten schlossartigen Kurhauses, erbaut 1905 bis 1908 nach dem Vorbild des kurz zuvor eröffneten Wiesbadener Kurhauses unter der Leitung des preußischen Regierungsbaumeisters Jacob Schrammen (1871-1960), der Erschließung neuer Heilquellen und der Gestaltung weiterer Parkanlagen reagierte. Vor allem der damalige Direktor der Badeverwaltung und der Saline, Oberbergrat Adolf Morsbach (1859-1922) strebte im Verein mit dem Vizebürgermeister und späteren Ehrenbürger der Stadt, Paul Baehr (1855-1929), den Aufstieg des beschaulichen Kurortes in die erste Liga europäischer Badeorte an und betrieb massiv die Entwicklung der jungen, erst ein halbes Jahrhundert zuvor gegründeten Badestadt zu einem mondänen „Weltbad“; ehrgeizige Pläne indes, die der nur wenige Jahre später ausbrechende Erste Weltkrieg und die nachfolgenden Not- und Elendsjahre nach nur kurzer Zeit ebenso unwiederbringlich wieder zunichte machten.

Vergleicht man den aus dem Jahre 1909 stammenden Stadtplan mit den Messtischblättern aus den Jahren 1921, 1938 und 1956, so lassen sich die beständige Entwicklung und das deutliche Wachstum des Kurortes deutlich daran ablesen. Im Westen der Stadt hörte 1909, abgesehen von der bereits fast durchgängig bebauten Herforder Straße, das Siedlungsgebiet an der Wiesen- und Luisenstraße auf. Das bis zur Zeppelinstraße und zur Südbahn seinerzeit noch offene Gelände wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg, in den Jahren 1920 bis 1925, in Form und Anlage einer Gartenstadtkolonie bis zum Osterbach hin bebaut. Schon vorhanden waren um diese Zeit die im Wesentlichen vorstädtischen Charakter zeigenden Hausreihen in den Straßen, die sich in dem geräumigen achteckigen Marktplatz, dem heute bedauerlicherweise als Parkplatz missbrauchten Kaiser-Wilhelm-Platz, vereinigen. Schnatmeiers Busch, in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, auch als so genanntes „Lindenwäldchen“ bekannt, trug diese Bezeichnung noch zu Recht. Von der Lennéstraße und dem 1915-17 errichteten stattlichen Empfangsgebäude des Nordbahnhofs nach Osten zu war ein geschlossenes Siedlungsgebiet städtischen Charakters, ebenso zwischen der Nordbahn, der Mindener Straße und der Reuterstraße (heute: Tannenbergstraße), wo sich – in unmittelbarer Nachbarschaft zur 1928 stillgelegten Saline und in scharfem Kontrast zu dem südlich des Bahndamms gelegenen Stadtzentrum mit seinem ausgeprägten Kurortcharakter – ein heute zum Teil brach liegendes Industriegebiet entwickelt hatte, das gleichsam den Übergang zu dem – teils auf dem Gebiet der Gemeinde Rehme liegenden – im Jahre 1864 gegründeten Eisenwerk „Weserhütte“ auf dem Gelände des heutigen Einkaufszentrums „WerrePark“ bildete, einstmals über Jahrzehnte hinweg der größte Industriebetrieb und Hauptarbeitgeber in Bad Oeynhausen.

Östlich des Kurparks markierte der Hambkebach die Grenze der Bebauung. Die im Plan von 1909 bereits vorgesehenen Straßen von der Marthastraße (heute: Dr. Louis-Lehmann-Straße) bis zur „Schweiz“ waren seinerzeit noch nicht bebaut. Hier stand als einziges Gebäude der charakteristische rote Backsteinbau der 1898 errichteten so genannten „Höheren Stadtschule“, die seit Ostern 1906 formal zu einem „Progymnasium“ erweitert worden war und in deren Räumen sich heute die städtische Musikschule befindet. Die Stelle der dem Salinengelände an der Mindener Straße gegenüberliegenden, um 1900 in Konkurs gegangenen Chemischen Fabrik (später: Irmer & Elze) diente bis in die späten 1930er Jahre als „Marktplatz“. Östlich davon befand sich noch bis in die 1920er hinein eines der ältesten Gehöfte auf dem Oeynhauser Stadtgebiet, der Nieder-Rolf-Hof.

Das ausweislich des Messtischblatts von 1909 sehr kleine Stadtgebiet wies seinerzeit also noch weite unbebaute Flächen auf. Trotzdem waren in dem damaligen nordöstlich des Kurparks, um die Herforder Straße und Klosterstraße herum als Hauptgeschäftsstraßen und „Flaniermeilen“ gelegenen „eigentlichen“ Stadtkern die Grundstückspreise bereits außerordentlich hoch. So kostete etwa um 1900 das Grundstück der direkt am Kurpark liegenden heutigen „Villa Quisisana“ (Am Kurpark 2) dreißigtausend Mark; an der Ecke Sielstraße/Hochstraße (heute: Dr. Hopmann-Straße/Elisabethstraße), schon etwas abseits des Stadtzentrums, ein Quadratmeter immerhin 28 Mark. Südlich der 1875 auf dem Gebiet der noch bis 1926 selbstständigen Gemeinde Niederbecksen-Bruch (auf deren Gebiet sich auch der städtebaulich markante „Südbahnhof“ befand) angelegten Bahnlinie lassen sich deutlich zwei Siedlungskerne ausmachen, die im Wesentlichen auch heute noch als solche erkennbar sind; der eine schloss unmittelbar an die Bahn an und lag unmittelbar an der chausseeartigen Detmolder Straße, begrenzt in südlicher Richtung durch die heutige Schulstraße; ein weiterer Siedlungskern befand sich im Südosten des noch vollkommen ländlich strukturierten Gemeindebezirks um die Bürgerschule II, die heutige Wichernschule, herum und erstreckte sich in lockerer Bebauung bis hin zur Triftenstraße. Außerdem war gegenüber dem früheren Schützenhof in der Schützenstraße und in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg auch in der unmittelbar benachbarten Goethestraße eine kleine Reihensiedlung entstanden, ursprünglicher Kern des später nach den Straßenbezeichnungen so genannten „Dichterviertels“.

In den Jahren ab 1910, teils unterbrochen durch die bald darauf folgenden Kriegsjahre, in den frühen zwanziger Jahren dann aber verstärkt fortgeführt, erfolgte die Chaussierung und Pflasterung der meisten innerstädtischen Straßen rund um das Kurgebiet. Die Bebauung des westlichen Kurgebiets wurde nach dem Ersten Weltkrieg ebenfalls planmäßig fortgesetzt. Hier ragt – nach den Worten Rudolf Hartogs – qualitätsmäßig die geschlossene Erscheinungsform der Gartenreihenhäuser aus der Hindenburgstraße und Wiesenstraße hervor. Nach den Idealen der Gartenstadt erbaut, bilden diese Häusergruppen noch heute einen wohltuenden Anblick. Inzwischen im Rahmen einer Bereichssatzung als geschlossenes bauliches Ensemble unter Denkmalschutz gestellt, bildet diese nach Plänen des Hannoverschen Architekten Friedrich Hartjenstein und unter der Leitung der örtlichen Baumeister Martin Stieghorst und Wilhelm Söhlmann errichtete Gartenkolonie das markanteste Beispiel für den innovativen Siedlungsbau der Zwischenkriegszeit in der Kurstadt. In unmittelbarer Nähe zu diesem baulich so geschlossenen, auch dem heutigen Betrachter noch ein nahezu einheitliches Bild vermittelnden Viertel „fällt“ jedoch ein Einfamilienhaus – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – so ganz „aus dem Rahmen“ traditioneller baulicher Vorstellungen, wie eine typische Villa in einem Kur- und Badeort auszusehen habe: das unweit des Kurparks in der Zeppelinstraße (Nr. 6) gelegene, in den Jahren 1926/27 von den Architektenbrüdern Heinz und Bodo Rasch für ihren Onkel, den Ziegeleiunternehmer Ernst Rasch, im seinerzeit hochmodernen Stil der neuen Sachlichkeit errichtete Wohnhaus, im Volksmund auch „Bauhaus-Villa“ genannt. Zunächst als für ein „Architekturmuseum des 19. Jahrhunderts“ untypischer, ja unpassender Bau kritisiert, ist es aus heutiger architektur- und kunsthistorischer Sicht ein besonderer Glücksfall, dass sich im Stadtbild Bad Oeynhausens, vermittelt durch dieses äußerst markante Wohnhaus im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, auch Spuren der damaligen baukünstlerischen Avantgarde nach dem Vorbild eines Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe finden lassen.

In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts machte der publikumswirksame Slogan von der „Stadt ohne Stufen“, den der Badearzt Dr. Reinhold Neumann-Bülow geprägt hatte, das westfälische Heilbad reichsweit populär. Neben den Kurgästen, die an Herz-, Nerven- und Gelenkerkrankungen litten, kamen auch mehr und mehr an den Rollstuhl gefesselte Patienten hierher. Etliche von ihnen wurden aufgrund der behindertengerechten Anlage von Straßen, Gehwegen und Hauseingängen für immer in der Badestadt ansässig. Nach dem Ende der Monarchie ging der Badebetrieb als Staatsbad in das Eigentum des preußischen Staates über und wurde im Jahre 1924 unter der offiziellen Bezeichnung „Bad und Salzamt Oeynhausen“ in die neu gegründete Preußische Bergwerks- und Hüttengesellschaft (Preussag) eingegliedert. Der Betrieb der Saline Neusalzwerk war jedoch durch das Aufkommen der industriellen Salzproduktion inzwischen so unrentabel geworden, dass er bald darauf eingestellt werden musste (1928). Die einige hundert Meter langen Gradierwerke an der Mindener und Kanalstraße wurden im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsprogramme der dreißiger Jahre abgerissen, obwohl ihre Funktion als Freiluftinhalatorium seinerzeit bereits bekannt war.

1926 konnte das Stadtgebiet durch die Eingemeindung von Niederbecksen-Bruch nach Süden hin beträchtlich erweitert werden. Im selben Jahr wurde mit der Erbohrung des Jordan-Sprudels, benannt nach dem damaligen Kurdirektor Oberbergrat Albert Jordan, der weltweit größten kohlensäurehaltigen Thermalquelle, ein neues Wahrzeichen der Stadt erschlossen. Auch die Gestaltung des historischen Gebäudeensembles im Kurpark mit der Errichtung der imposanten neo-klassizistischen Wandelhalle (1925/26) in der bis in die Gegenwart überkommenen Form fand seinerzeit ihren endgültigen Abschluss. Der Badebetrieb, seit 1930 unter der Bezeichnung „Bad Oeynhausen GmbH“ firmierend, mit seinem auf 3,5 Millionen RM bezifferten Grundkapital, blieb weiterhin im Eigentum der Preussag; 1937 wurde das Bad als „Preußisches Staatsbad“ erneut dem preußischen Finanzministerium unterstellt.

Das heraufziehende Unheil der nationalsozialistischen Diktatur verschonte auch die Kurstadt nicht und führte hier wie anderorts zur Verfolgung und Diskriminierung von politisch Andersdenkenden, Behinderten, jüdischen Mitbürgern und Kurgästen. Insgesamt 41 deportierte jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden unschuldige Opfer des mörderischen Rassenwahns. Dass nicht alle Einwohner mit den Maßnahmen des Regimes einverstanden waren, belegen die Aktivitäten der Bekennenden Kirche, die mit dem hiesigen Pfarrer und Superintendenten Karl Koch (1876-1951), zugleich Präses der Westfälischen Provinzialsynode, einen ihrer prominentesten Wortführer und führenden Köpfe besaß. So wurde die Badestadt vor allem in den ersten Jahren des so genannten „Dritten Reiches“ – nicht zuletzt als Tagungsort der 4. Reichssynode der Bekennenden Kirche im Februar 1936 – zu einem Zentrum kirchlichen Widerstandes und erlangte als solche auch reichsweite Bekanntheit. Während des 2. Weltkriegs wurde Bad Oeynhausen mit seinen großen Hotels und zahlreichen Kurbetrieben zur Lazarettstadt mit etwa 1700 Betten.

Am 3. Mai 1945 wurde die Stadt kampflos den einmarschierenden amerikanischen Truppen übergeben. Die Kriegshandlungen ließen die Badestadt damit weitgehend verschont. Umso gravierender bremste die nachfolgende Stationierung des Hauptquartiers der britischen Rheinarmee die unmittelbare Entwicklung in der Nachkriegszeit, sowohl im Hinblick auf die allgemeine Stadtentwicklung, als auch bezüglich der Entwicklung des Kurwesens. Eine der Folgewirkungen auf lokaler Ebene war es, dass die Innenstadt von Bad Oeynhausen nur wenige Wochen nach Kriegsende im Mai 1945 auf Befehl der britischen Militäradministration gleichsam über Nacht geräumt werden musste – die Evakuierung betraf zwischen 6.500 und 9.000 Einwohner – und fast ein ganzes Jahrzehnt, bis zum Herbst des Jahres 1954, Sitz des Hauptquartiers der Britischen Rheinarmee wurde. Betroffen war die gesamte innerstädtische Bevölkerung südlich der Nordbahn mit insgesamt 959 Häusern und 1807 Wohnungen, was nicht nur etwa 55% des Wohnungsbestandes der Stadt ausmachte und ca. 70% der Einwohner der Kurstadt betraf, sondern auch sämtliche Einrichtungen des damit eingestellten Kurbetriebes umfasste. Der gesperrte Innenstadtbezirk wurde von etwa 6.000 Briten bezogen. Für die aus ihren Häusern und Wohnungen verdrängte Bevölkerung entstand ein neues provisorisches Stadtzentrum im Bereich der ehemaligen Saline an der Kreuzung von Mindener und Eidinghausener Straße, die so genannte „Barackenstadt“. Bauliches Zeugnis gibt hiervon noch heute das frühere Kino „Die Leiter“, das mittlerweile zu einem Ärztehaus umgebaut worden ist. Nach Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 wurde geplant, für die Briten ein neues Hauptquartier südlich der Innenstadt zu errichten, nicht zuletzt, damit der seit 1945 unterbrochene Kurbetrieb wieder aufgenommen werden konnte. Die britische Besatzungsmacht lehnte jedoch solche Pläne kategorisch ab. Nachdem die Briten Ende 1954 nach zähen und langwierigen Verhandlungen den Kurort geräumt hatten, wurde der ab 1955 einsetzende Wiederaufbau des Bades und der Kureinrichtungen von der Zahlung umfangreicher Entschädigungen, vor allem aus Landesmitteln, begleitet. Hierdurch veränderte sich das Stadtbild Bad Oeynhausens innerhalb weniger Jahre einschneidend und aus heutiger Sicht nicht immer zu seinem Vorteil.

Bauliche Hinterlassenschaften der britischen Besatzungszeit in Bad Oeynhausen sind rar: Als Residenz des Feldmarschalls Montgomery, des Oberkommandierenden der britischen Rheinarmee, wurde das nordöstlich von Bad Oeynhausen im Gebiet der heutigen Stadt Porta Westfalica gelegene Gut Rothenhof bestimmt. 1950 erhielt der kommandierende General in Bad Oeynhausen eine eigens für diese Zwecke neu errichtete Villa am südlichen Rande des Kurparks nahe dem Kurhaus an der Schützenstraße 7. Auf dem ca. 4000 qm großen Gelände hatte von 1891 bis 1916 der Schützenhof gestanden, anschließend war hier 1922 an seiner Stelle für den Justizrat Hemkes eine aufwendige Villa errichtet worden, die aufgrund ihrer äußeren Gestalt im Volksmund alsbald den Namen „Friesenhof“ erhielt. Nach Beschlagnahme des Anwesens durch die Besatzer brannte das Gebäude im Juni 1945 ab. An seiner Stelle wurde 1950 das sog. White house als Residenz des kommandierenden Generals errichtet und bis zum Sommer 2014 von den Briten in dieser Funktion genutzt.

Als weiteres markantes Relikt der Besatzungszeit ist auch der Wohnkomplex zwischen Porta-/ Gneisenau- und Rolandstraße anzusehen. Dort beschlagnahmte die Besatzungsmacht im September 1954 von dem Landwirt Mülke ein Areal zum Bau von über 30 Wohnungseinheiten (Doppelhäuser) für britische Familien, deren Männer noch in Bad Oeynhausen blieben. Zunächst der REME (Royal Electrical and Mechanical Engineers) angehörend, waren diese bis in die jüngste Vergangenheit bei britischen Dienststellen in Minden, Herford und Bünde beschäftigt. Die im Rahmen des Bauprogramms Build VII und IX in diesem Bereich errichteten Offiziers- und Unteroffizierswohnungen wurden durch Garagen und einen Spielplatz voneinander getrennt. Zwei weitere Wohneinheiten vom Typ Build XIII wurden an der Wilhelm-Rottwilm-Straße im Zuge der Stadterweiterung Richtung Süden, sowie drei weitere an der Rolandstraße errichtet. Die beiden vor Ort verbliebenen britischen Transporteinheiten wurden 1956 durch die Transporteinheit (Mobile Civilian Group, Royal Corps of Transport) Nr. 632 ersetzt, die Versorgungsfahrten ausführte und in einem Barackenlager an der Weserstraße am südöstlichen Ende der Oeynhauser Schweiz, dem sog. „Kerr-Camp“ untergebracht war. Seit 1990 befindet sich auf diesem Gelände die Klinik Porta Westfalica GmbH & Co. KG.

Die kommunale Neuordnung zu Beginn der 1970er Jahre bedeutete einen massiven Eingriff in die städtische Entwicklung. Die Kernstadt brachte zwar mit seinerzeit knapp 15.000 Einwohnern den weitaus größten Bevölkerungsteil in die neue größere Stadt Bad Oeynhausen ein, doch daraus ergab sich strukturell, dass ein nach wie vor ländlich-agrarisch geprägter Raum an der Peripherie der Stadt den städtischen Kern, die so genannte „Altstadt“, ummantelte. Auch wenn die umliegenden Kommunen, schon seit längerem und verstärkt durch die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, funktional mit dem zentralen Ort der Region verknüpft waren, konnten sie sich zunächst weiterhin eigenständig entwickeln.

Durch die kommunale Neugliederung konnte der Verwaltungsapparat nicht, wie ursprünglich geplant und auch erwünscht, verkleinert werden; im Gegenteil: die Zahl der im Bereich der Verwaltung Beschäftigten stieg nach der Gebietsreform erheblich, da neue und teils verpflichtende Aufgaben für die Kommune hinzukamen. Der vergrößerte Verwaltungsapparat wurde in zwei Hauptgebäuden, im Rathaus I, dem 1956/57 errichteten ehemaligen Rathaus der „Altstadt“ am Ostkorso, und im Rathaus II, dem früheren Amtshaus des Amtes Rehme zu Werste am Schwarzen Weg, sowie in diversen Dependancen untergebracht. Der Bau eines zentral gelegenen Verwaltungsgebäudes, erstmals im Jahre 1979 diskutiert, blieb seither im Planungsstadium.

Durch die kommunale Neugliederung vergrößerte sich das Stadtgebiet von 7,3 auf etwa 65,0 Quadratkilometer, während sich die Einwohnerzahl von knapp 15.000 auf fast 50.000 mehr als verdreifachte. Die im Allgemeinen positive Einschätzung und Bewertung der kommunalen Neuordnung vermag jedoch nicht darüber hinwegzutäuschen, dass das wichtigste räumliche Problem in der Region der unteren Werre gerade nicht zugunsten der Badestadt gelöst werden konnte. Wichtiger als die Ausweitung der Kernstadt nach Norden und Süden wäre die Ausdehnung nach Westen in Richtung Löhne-Gohfeld gewesen. Bis zum Mittelbach hatte Bad Oeynhausen Anspruch auf Löhner Gebiet erhoben, doch mit dem Gesetz über die kommunale Neuordnung, dem so genannten „Bielefeld-Gesetz“, das zum 1. Januar 1973 in Kraft trat, wurde nur ein sehr kleiner Teil von Gohfeld-Melbergen der „neuen“ Stadt Bad Oeynhausen zugeschlagen.

Die großen Veränderungen der letzten 25 Jahre, die durch Schlagworte wie Gesundheitsreform, Strukturwandel und Globalisierung gekennzeichnet sind, gingen naturgemäß auch an Bad Oeynhausen nicht spurlos vorüber. Der über viele Jahrzehnte hinweg staatlich geführte Badebetrieb ging mit Beginn des Jahres 2004 vom Land NRW auf die Kommune über, die Eigentümerin der Staatsbad Bad Oeynhausen GmbH und des Eigenbetriebes Staatsbad ist. Die Stadt Bad Oeynhausen als Trägerin der Kureinrichtungen übernahm damit nicht nur die Verantwortung für die Pflege und Erhaltung der historischen Gebäude und Parkanlagen, sondern erhielt erstmals in der Geschichte des jungen Badeortes auch die Chance, den alten Dualismus von Stadt und Bad zu überwinden und eine gemeinsame Zukunft beider Institutionen zu gestalten.

Autor 

Vorsitzender Arbeitskreis Heimatpflege Bad Oeynhausen;

Stellv. Kreisheimatpfleger des Kreises Minden-Lübbecke;

Gymnasiallehrer für Geschichte am Wesergymnasium Vlotho

und Ratsvertreter der Ortsunion im Stadtrat der Stadt Bad Oeynhausen